Das Leben ist keine Rechenaufgabe, für die es die eindeutige oder gar die richtige Lösung gibt. Der Umstand, dass der Mensch sein Dasein im beständigen Austausch mit so schwer kalkulierbaren Umweltfaktoren wie seiner natürlichen Umgebung und seinen mit je eigenen Sehnsüchten und Leidenschaften versehenen Mitmenschen fristet, führt zu beständigen Wechselwirkungen und Überraschungseffekten. Jean-Paul Sartre hat das mit Bezug auf ein für ihn eher ungewöhnliches Metier in treffende Worte gefasst: “Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.” Blickt man auf den Kanon moderner Managementmethoden seit dem Beginn der Industrialisierung, gewinnt man den Eindruck, dass die Eigendynamik des Menschen bisher vor allem als Herausforderung betrachtet wurde, die es zu kanalisieren und zu bändigen gilt, um angestrebte Ziele zu erreichen. Taylorismus, Fordismus, Management by Objectives: immer ging es im Kern um Quantifizierung, Standardisierung und Kontrolle. Erst mit der Beschleunigung und Verkomplizierung des Wirtschaftsgeschehens vor allem durch Globalisierung und Digitalisierung wurden auch die Schwächen dieser Art des Managements deutlich erkennbar. Zwar erreicht man verlässlich Ziele, aber um den Preis nur langsamer Anpassung an Veränderungen und mangelnder Nutzung aller Ideen und kreativen Potentiale der Mitarbeiter.
Es überrascht nicht, dass Ansätze eines neuen Managementstils aus einem Feld stammen, in dem die Geschwindigkeit des Wandels und die Anforderungen an Innovationsfähigkeit besonders hoch sind. Der Begriff agiles Management, der so diverse Methoden wie Design Thinking, Scrum und Kanban umfasst, hat seinen Ursprung in der Softwareentwicklung. Das Agile Manifesto formuliert Leitprinzipien agilen Managements, die Menschen und ihre Interaktionen in den Vordergrund stellen, das Ergebnis der Arbeit höher bewerten als das Einhalten vorgeschriebener Prozesse, den Kunden in den Fokus rücken und Responsivität zum höchsten Gut machen.
Da wir im Zeitalter des “metrischen Wir” leben, wie der Soziologe Steffen Mau sein Buch über die “Quantifizierung des Sozialen” betitelt, droht aber auch über dem neuen agilen Managementansatz das Damoklesschwert der einseitigen Betonung rationaler und kognitiver Kompetenzen des Menschen. Tatsächlich braucht der Umgang mit den neuen Komplexitäten unternehmerischen Handelns aber den ganzen Menschen. Der amerikanische Managementguru David Dotlich hat hierfür die Begriffstrias “Head, Heart, and Guts” geprägt. Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat mit ähnlicher Zielsetzung “langsames” – reflektiertes – von “schnellem” – intuitivem – Denken unterschieden.
Wenn man die Prinzipien des Agile Manifesto geradezu idealtypisch in der Anwendung erleben will, dann bietet Jazz dafür die perfekte Gelegenheit – ganz ohne Messbarkeit und Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit – wie Frank Barrett, ein Jazzpianist, der in Monterey Management lehrt, es in “Yes to the Mess” (2012) beschreibt. Wer sich für Jazz begeistern kann, dem sei empfohlen, es selbst auszuprobieren und sich von Jazzmusikern in die Geheimnisse ihres Miteinanders auf der Bühne einführen zu lassen. Es kann schon die Augen öffnen, wenn man liest, was die Jazzgrößen selbst zu ihrer Musik gesagt haben. Miles Davis, bewundert für seine Fähigkeit zur ständigen Erneuerung, glaubte an die Chance, die in Fehlern steckt: “Wenn du keine Fehler machst, dann machst du was falsch.” Charlie “Bird” Parker hat den Zusammenhang zwischen Virtuosität und Spontanität in wenige Worte gepackt: “Übe, übe, übe und wenn du dann auf die Bühne gehst, vergiss alles und spiel einfach hinreißend.” Peter Materna, international erfolgreicher Jazzmusiker aus Bonn, hat dem Verfasser dieser Kolumne im Rahmen eines Jazzworkshops für Kommunikatoren eine Bühnenweisheit anvertraut, die zeigt, wie sehr Agilität im Team jenseits des klassischen Managements liegt: “Manchmal muss man mit einer Pause anfangen.”