Die Debatte um die richtige Balance zwischen wirtschaftlichem Fortschritt, nachhaltigem Wohlstand und sozialer Teilhabe hat ein neues Leitbild für die Wirtschaft hervorgebracht: den Stakeholder-Kapitalismus. Die neuen Anforderungen an die Leistungsbilanz eines Unternehmens sorgen für steigende Erwartungen, die zwischenzeitlich nicht nur von Kunden und Interessengruppen der Zivilgesellschaft immer intensiver formuliert werden, sondern umfassend in entsprechende nationale und internationale Regularien wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die sich hieraus ergebenden European Sustainability Reporting Standards (ESRS) Einzug gefunden haben.
Konsequent führen immer mehr Unternehmen Transparenzversprechen bewusst in ihre Kommunikation ein und verbinden damit die Erwartung positiver Wirkung auf ihre Stakeholder. So hat Julie Becker, Chefin der Luxemburger Börse, jüngst gegenüber der Frankfurter Allgemeine Zeitung klar Position bezogen: «Es kommt auf eine hohe Transparenz an, um das nötige Vertrauen der Investoren zu schaffen und zu sichern».
Allen Bemühungen um maximale Transparenz zum Trotz bleiben die Adressaten aber skeptisch. In einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) hielten über 41 Prozent der Befragten nachhaltige Geldanlagen für eine «Modeerscheinung». Zugleich gaben 58% der im Rahmen des Bosch Tech Compass 2023 repräsentativ Befragten in Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Großbritannien und den USA an, dass «nur eine Minderheit der Unternehmen Nachhaltigkeit wirklich ernst nimmt».
Offensichtlich wirkt sich steigende Transparenz – sei sie selbstauferlegt oder regulatorisch geboten – nicht automatisch positiv auf die Akzeptanz der Stakeholder aus. Dabei zeigen sich mindestens vier Wirkungszusammenhänge, die – zumindest auf den ersten Blick – paradox erscheinen.
Der heute in Verfügbarkeit und Quellenvielfalt schier unbegrenzte Informationsstrom führt bei gleichzeitig abnehmender Zuverlässigkeit der einzelnen Quelle zu einem kontinuierlichen Bedarf an weiteren Informationen mit dem Ziel der Klärung oder auch nur der weiteren Bedienung von Erwartungen und Narrativen. Höhere Transparenz führt also nicht zu weniger, sondern zu mehr Informationsbedarf.
Und: Je transparenter Unternehmen gerade in ihrem Berichtswesen werden, desto lauter wird der Ruf nach einem umfassenden Zielbild ihres gesellschaftlichen Leistungsbeitrags jenseits eines – für Laien oft schwer zu entziffernden – Zahlenapparats. Transparenz in den Fakten gebiert also Bedarf an Sinnstiftung.
Da unser Zugang zur Realität weitgehend medial vermittelt ist, schafft die Vervielfachung des Informationsangebots eine Unübersichtlichkeit, die je nach Gegenstand und Erwartungshaltung bei den Empfängern zu Unterforderung oder Überforderung führen kann. Wir steuern dann in ein weiteres kommunikatives Paradox: Transparenz – zumal wenn medial vermittelt – kann Misstrauen generieren.
Zugleich bewegen sich Akteure in Wirtschaft und Politik seit Jahren in einer komplexen Konstellation von ökologischen Krisen bei gleichzeitig beschleunigtem technologischem Wandel und zunehmender Polarisierung von Interessenlagen. Hier wirkt die gestiegene Transparenz wie ein Katalysator der Komplexität. In der Folge braucht es immer mehr gezieltes Kommunikationsmanagement in einer zunehmend gläsernen – und damit in Bezug auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch immer zerbrechlicheren – Welt.
Um den Anforderungen, die sich aus diesen Paradoxien ergeben, gerecht zu werden, muss sich das Kommunikationsmanagement zu Beziehungsmanagement weiterentwickeln. So verweist die Akademische Gesellschaft für Unternehmensführung und Kommunikation in ihren neuesten Communication Insights auf gezieltes „Community management on closed media channels“ als ein Instrument, um Beziehungskapital zu schaffen, das weit über das bloße Ansehen hinausgeht.
„You can´t manage what you can´t measure“, wird Management-Guru Peter Drucker oftmals zitiert, wenn es um transparentes Berichtswesen geht. Ein Mehr an Informationen führt aber in einer Transparenzgesellschaft – wie der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han ausgeführt hat – nicht zwangsläufig zu besseren Entscheidungen und größerem Vertrauen. Dies bleibt die entscheidende Vermittlungsaufgabe für Kommunikatorinnen und Kommunikatoren.