Fast war sie angesichts der Dominanz stehender und bewegter Bilder in Vergessenheit geraten. Jetzt wird mit zunehmender Sorge über ihre wachsende Verrohung, einseitige Instrumentalisierung und zunehmende Simplifizierung geklagt: gesprochene und geschriebene Sprache im öffentlichen Diskurs.
Dabei werden sehr unterschiedliche Blickwinkel eingenommen. So konstatieren Thomas Köhler und Jochen Roose vom Think-Tank „Politik und Beratung“ der Konrad-Adenauer-Stiftung in einer hauseigenen Publikation einen grundlegenden Wandel der Sprach- und Streitkultur in Deutschland – „riskante und toxische Rhetorik inklusive“. Die Politikwissenschaftlerin Astrid Séville erklärt die zunehmende Dissonanz zwischen politischem Establishment und v.a. jungen Wählern mit einem technokratischen „Sound der Politik“, der weniger auf Authentizität und Handlungsorientierung als auf ideologischer Abgrenzung basiere. In der Folge schlüge latente Politikverdrossenheit in offene Feindschaft um. Der publikumswirksame Aufruf zur „Zerstörung“ einer Volkspartei mit Millionen von Wählern erscheint in dieser Argumentation als logische Konsequenz. Damit wird Sprache dann auch zur ethischen Herausforderung. Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, fordert angesichts von Formulierungen wie „Heuschrecken-Kapitalismus“ oder „Agrarmafia“ eine kommunikative Abrüstung, um differenzierte sprachliche Behandlung komplizierter Sachverhalte sicherzustellen.
Auf der Suche nach den Ursachen für die allgegenwärtige Entgleisung von Sprache wird vor allem auf das durch soziale Fragmentierung, wirtschaftlich-politische Globalisierung und mediale Digitalisierung veränderte Umfeld des öffentlichen Diskurses verwiesen. Zugleich sind geänderte Umstände des je individuellen Umgangs mit gesprochener bzw. geschriebener Sprache zu beachten. Hier machen sich die immer kürzer werdenden Zeitspannen ungeteilter Aufmerksamkeit für die Informationsübermittlung durch Sprache bemerkbar. In einer kürzlich veröffentlichten Studie zur Nutzung von Smartphones während persönlicher Gespräche, kommt Autor Brad Ictech zu der Erkenntnis, dass die Beschäftigung mit „Abwesendem“ in der Regel akzeptiert wird und dann – gleichsam zur Gesichtswahrung – mit ebensolcher Nutzung des Smartphones beantwortet wird. Es ist offensichtlich, dass hier für das eigentliche Gespräch der Anwesenden große Herausforderungen lauern. Wir verlieren schlicht die Fähigkeit, uns (aktiv) zuzuhören und komplexe Botschaften zu vermitteln und zu verstehen.
Natürlich braucht gelungene Kommunikation auch Verkürzung, Verdichtung oder Zuspitzung und die sprichwörtlichen Soundbites gehören wie Philip Manow es treffend formuliert zu den „zentralen Nebensächlichkeiten der Demokratie“. Aber Sprache ist zu kostbar und zu wirkmächtig, um unreflektiert mit ihr umzugehen; sei es gesprochen oder geschrieben. Der Bildhauer Anthony Cragg beklagt die rein utilitaristische Verwendung von Sprache im modernen Produktionszeitalter: „Viele Wörter und Formulierungen sind abgenutzt, müde und ausgeleiert, verarmt und praktisch bedeutungslos“.
Auch die Veränderung der Mediennutzungsgewohnheiten spielt eine Rolle. Heute konsumieren deutsche Nutzer im Alter ab 14 Jahren rund 5 Stunden bewegte Bilder über das Fernsehen oder digitale Kanäle pro Tag. Für Bücher – noch immer Königsweg für die Aneignung komplexer Sachverhalte und für die Auseinandersetzung mit dem vollen Potenzial geschriebener Sprache – bleiben am Tag ganze 7 Minuten. Wer rasch wesentliche Inhalte aufnehmen muss, um mitreden zu können, lässt nicht selten lesen oder nutzt einen Abtract-Service, der mundgerecht in Häppchen zusammenfasst. Hier sei an Friedrich Nietzsche erinnert, der in seinem Aphorismen-Buch „Morgenröte“ dem Philologen nahelegt, was allen anzuraten ist, die von Berufs wegen mit Sprache umgehen: „Gut lesen, das heißt langsam, tief, rück- und vorsichtig, mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Türen, mit zarten Fingern und Augen lesen“.