Eine im Oktober von der Universität Leipzig vorgestellte Studie unter der Leitung von Ansgar Zerfaß offenbart – nicht zum ersten Mal – ein hohes Maß an Misstrauen und Unverständnis der deutschen und europäischen Bevölkerung gegenüber denjenigen, die wesentliche Verantwortung für die Herstellung von Öffentlichkeit tragen: Nur etwas mehr als acht Prozent der Deutschen vertraut Kommunikatoren und PR-Verantwortlichen. Journalisten ergeht es mit rund 17 Prozent nicht viel besser. Zum Vergleich: externe Berater und Wissenschaftler kommen auf 37 Prozent. Dabei wird das Kommunikationsmanagement in allen europäischen Ländern vor allem als Aufgabe wahrgenommen, die in der zielorientierten Steuerung von Kommunikation besteht (36 Prozent Zustimmung). Nur 26 % der Befragten verstehen den Aufbau von wertstiftenden Dialogen als wesentliche Aufgabe der PR.
Angesichts der Bedeutung, die Medien und Kommunikation heute in unserem privaten und öffentlichen Leben haben, sind das wirklich ernüchternde Ergebnisse. Die paradoxe Botschaft scheint zu lauten: „Es lebe die gelungene Kommunikation, aber nieder mit den professionellen Kommunikatoren“ – seien es PR-Manager oder Journalisten. Und das in einer Zeit, in der politische wie wirtschaftliche Entscheider den Widerspruch zwischen richtiger Sachentscheidung und unzureichender kommunikativer Vermittlung regelmäßig thematisieren. Egal ob es um ehrgeizige politische Reformprojekte, milliardenschwere Investitionen, strategische M&A-Deals oder personalpolitische Weichenstellungen an der Spitze von Parteien oder Unternehmen geht: Die Forderung, rasch, transparent und korrekt zu kommunizieren, die Menschen dabei nicht nur zu informieren, sondern sie mit ihren Ängsten, Hoffnungen, Ideen und Kritikpunkten mitzunehmen, steht sofort im Raum.
Der 30. Jahrestag des Mauerfalls, den wir am 9. November 2019 begehen durften, bietet eine gute Gelegenheit, auf die gesellschaftliche Bedeutung gelungener Kommunikation hinzuweisen und zugleich vor den Gefahren von Vermittlungsdefiziten zu warnen. Am Anfang muss dabei die Erkenntnis stehen, dass die Wiedervereinigung selbst – inklusive der Vorgeschichte in Ost und West – ein Lehrstück in gelungener Kommunikation darstellt. Angefangen von der Demaskierung des DDR-Regimes durch die Aufdeckung des Wahlbetrugs bei der Kommunalwahl am 7. Mai 1989 (dokumentiert auf tausenden von DDR-weit verteilten Flugblättern) über den Wettbewerb der spät-sozialistischen Narrative zwischen Michail Gorbatschow („Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, 6. Oktober 1989) und Erich Honecker („Vorwärts immer, rückwärts nimmer“, 7. Oktober 1989) bis hin zur millionenfach skandierten politischen Parole der Leipziger Montagsdemonstrationen (zunächst „Wir sind das Volk“, dann „Wir sind ein Volk“).
Nicht zu vergessen: Die Öffnung der Mauer exakt am 9. November war ein kommunikatives Versehen historischen Ausmaßes. Der nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Ausreiseregelung befragte SED-Funktionär Günter Schabowski antwortete: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich“. Vorgesehen war eigentlich der 10. November und die DDR-Grenzpolizei auf den Ansturm völlig unvorbereitet. Schabowski hatte sich in seinen Unterlagen verheddert.
Noch interessanter wird der kommunikative Blickwinkel auf die Ereignisse vor 30 Jahren, wenn man die Wiedervereinigung als das betrachtet, was diese ihrem Wesen nach immer war: eine gewaltige gesellschaftliche Transformation, die – bei aller spontanen Freude über wiedergewonnene Freiheit und staatliche Einheit – genau jene Reaktionen auslöst, die man aus der Sozialpsychologie kennt: Schock, Ablehnung, Rationale Einsicht, Emotionale Akzeptanz, Trial-and-Error, Aneignung, Integration. Dies außer Acht zu lassen, schafft bei den Betroffenen genau das Lebensgefühl der Kränkung, das der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck im Gespräch mit der FAZ in einer Rückschau formuliert: „Eben waren die Menschen noch Sieger der Geschichte und kurz danach nur noch Lehrlinge, die sich von mehr oder weniger Kundigen das Leben erklären lassen mussten“. Und weiter: „Der abrupte Wechsel von ´Wir sind das Volk´ zu ´Nehmt uns an der Hand`, der war schon hart“. Tatsächlich ist hier ein Transformationsmanagement – inklusive wertschätzender Kommunikation – gefordert, das sich nicht in der Formulierung einer wunderbaren, auf die materiellen Lebensumstände konzentrierten Vision wie den „Blühenden Landschaften“ in den ostdeutschen Bundesländern erschöpft.
John P. Kotter, einer der führenden Köpfe in der organisatorischen Transformationsforschung und Professor an der Harvard University, hat schon in den 90er Jahren „Acht Kardinalfehler bei der Transformation“ ausgemacht. Darunter das Versäumnis, eine Vision zu entwerfen, eine unzulängliche Vermittlung selbiger und zu früh angesetzte Siegesfeiern.